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Röthenbach, 8. Juni 2023

Liebste Néla                                                                                                                  

Heute steht die Welt still für mich. Du bist gestorben. Nach der 5. Kolik habe ich mich von den Tierärzten überzeugen lassen, dass die Prognosen zu schlecht sind, als dass wir dich weiterhin diesen höllischen Schmerzen überlassen dürfen.

Wie tapfer hast du gekämpft, meine grosse Kleine. Stoisch, introvertiert, still. Du hast die Bewegung gesucht, weil du spürtest, dass es lindert. Unermüdlich sind wir gemeinsam marschiert, um die Krämpfe zu lösen. Mit Eselsgeduld hast du Nasensonde und Spritzen und Infusion ertragen. Und meine Akkupressurversuche hast du sichtlich genossen. Aber das alles hat nicht gereicht. Heute haben wir dich im Alter von 31 Jahren von dieser unseligen Kolik und deinem grossen Leiden erlöst. Das war eine der schwersten Entscheidungen in meinem Leben

Seit 32 Jahren wird mein Leben von Langohren begleitet. Du warst nun der erste Esel, den ich gehen lassen musste. Mir hat vor diesem Tag gegraut!

Du warst mein zweiter Esel. Im Jahr 1992, als ich 15 Jahre alt war, trat Figaro als einjähriger flauschiger Flegel in mein Leben. Gut zwei Jahre später kamst du dazu als damals knapp Dreijährige. Von da an war mein Weg von zwei Eseln geprägt und begleitet. Das Leben als Schülerin und Studentin, das Leben als junge Pfarrerin, die verschiedenen Etappen meines Lebens in Thun, in Uettligen und Ortschwaben, in Allmendingen, in Büren und nun in Röthenbach… immer waren Figaro und du an meiner Seite. Immer wart ihr ein zentraler Teil meines Lebens.

Du hattest ein wunderbares Wesen. Ruhig und dennoch aktiv, fleissig, lieb, trotzdem auch deine Grenzen setzend. Manchmal warst du gierig, unvergessen bleiben deine riesigen Nüstern und das klagende Heulen, wenn es mit dem Abendmüesli mal wieder zu lange dauerte und die blöden Boxenwände doch einfach etwas zu hoch waren für dich als die Kleinste in der Herde.
Die Kleinste und die Grösste. Innerlich warst du so  gross. Ein souveränes Wesen, stolz, weise und lebenserfahren. Auf unseren ungezählten Streifzügen im Wald zotteltest du  oft ohne Strick mit, knabbertest hier und da und trippeltest dann im Trab hinterher.

Früher hast du Kinder getragen, im Schritt, Trab und Galopp. Und wunderbar war das Fahren mit dir mit dem kleinen zweirädrigen Bockwagen. Wenn du trabtest, schienen deine Hufe zu fliegen. Keiner meiner Esel kann das so, wie du es konntest. Hunderte von Ausflügen machten wir, du am Wagen, Figaro unter dem Sattel. Und tausende einfach zu Fuss.

Und dann begannen die Trekkings. Du bist immer voranmarschiert. Du gabst den Takt und das Tempo vor. Du  warst unser Trekkingmotörchen, oft warst du es, die das Trekkingwägeli zog, tapfer, fleissig und unermüdlich. Wie viele Trekking Kilometer hast du auf deinen kleinen zierlichen Hüfchen wohl zurückgelegt?? Wie viele Hügel und Berge erklommen? An wie vielen Waldrändern die Nacht verbracht? Und wie vielen anderen Langohren deine Ruhe, Gelasseneit und Erfahrung beim Trekken weitergegeben?
Was bin ich auf die Welt gekommen, als ich das erste Trekking ohne dich versuchte, als du langsam zu alt wurdest für die anstrengenden Touren. Es ging einfach nicht vorwärts! Erst Bosco hat dann die Rolle des neuen Trekkingmotors übernommen. Von da an bist du gerne gemütlich hinterhergeschlendert.

Was wird sein ohne dich, meine kleine Néla??

Die letzten Jahre mit dir waren wunderbar. Nachdem viele Jahre verstrichen waren, in denen ich Figaro und dich immer auswärts versorgen musste oder ihr in Pension wart,  wurde im 2018 mein Herzenswunsch erfüllt. Im Winkel 7 in Röthenbach fanden wir das Zuhause, das mit euch, den Eseln,  geteilt werden konnte. Ich bin unendlich dankbar für diese 5 Jahre, in denen wir uns so nahe waren und ihr mit Familienanschluss leben konntet. Vor und hinter dem Haus befinden sich Teile des Auslaufs, der Trail führt um’s ganze Gelände. Nachts höre ich im Bett die Geräusche aus dem Stall. Und morgens kann ich im Pijama füttern. Dein Schrei war immer das erste Geräusch am Morgen. Nun muss ich einen Wecker stellen.

Und du hast dir deine Freundin ausgewählt. Mit Aisha hattest du dich angefreundet in der Zeit, als du und Figaro  Teil von Dolores’ Eselherde in Moutier wart. Aisha kam mit uns nach Röthenbach. Sie sorgte für dich, Néla, sie passte auf dich auf, wenn die beiden Jungs mal wieder Rüpel waren. Mit Aisha hattest du deine Partnerin gefunden, ihr beide wart unzertrennlich. Und so fehlst du nun nicht nur mir, auch Aisha und Figaro vermissen dich sehr. Figaro ist überhaupt seit fast 30 Jahren zum ersten Mal getrennt von dir. Selbst als du einmal ins Tierspital musstest wegen eines Hufabszesse, war er mit von Partie. Wie wird er mit dem Verlust zurechtkommen wird? Bitte schick Aisha und Figaro ein  wenig Eselengelskraft von dort, wo du jetzt im saftigen Gras stehst, wo keine Fliegen dich belästigen, kein krankes Auge dich juckt, keine Pollen dich plagen und wo du nie, nie, nie wieder Bauchschmerzen haben wirst.

Mit etwa 28 Jahren begannen deine gesundheitlichen Probleme. Leider hattest du nicht sehr gute Zähne. Mit den Schwierigkeiten beim Kauen begannen auch die Verdauungsprobleme. Seit 2020 hast du fünf mehr oder weniger schwere Koliken durchgemacht. Bei der letzten nun hatte sich so viel Gas angesammelt in deinem verstopften Dickdarm, dass sich die Därme verlagert haben. Wir haben, auch auf Rat der Tierärzte, davon abgesehen, dich noch einer Operation mit ungewissem Ausgang zu unterziehen.

Der Abschied kam für mich zu plötzlich. Erst langsam kommt in meinem Kopf und Herzen an, dass du, kleine Maus,  nie mehr da bist. Dass du mich nicht mehr spätestens um 6.15Uhr mit deinem lauten Ruf wecken wirst. Dass ich keinen lachenden Kuss mehr auf deine über die Stalltüre  gereckte Nase mit den riesigen Nüstern drücken kann im Vorbeigehen. Dass niemand mehr im Wald frei laufen wird. Dass keine kleine Astronautin mehr abends ihren Kopf hinstrecken wird, damit ich sie von ihrem grossen Fliegennetz befreie, das du seit zwei Jahren zum Schutz deines erkrankten rechten Auges getragen hast. Und niemand mehr wird mit mir das allabendliche Ritual machen, hinter mir her zu laufen und jedes Mal, wenn ich stehen bleibe, den Kopf an mir zu reiben – natürlich ungeachtet dessen, ob ich Stallkleider trage oder nicht.

Néla – wie der Alltag im Stall aussehen wird ohne dich, weiss ich jetzt noch nicht, kann ich mir noch nicht vorstellen. Du wirst mir unendlich fehlen.

Im Schatten des Apfelbaumes auf der Hostet, deine Herde im Trail nebenan, haben wir dich über die grosse Brücke begleitet. Ruhig bist du hinübergegangen. Figaro, Aisha und Bosco konnten weidend Abschied nehmen von dir.

Danke dir, kleine Maus, für alles, was du gegeben hast in deinem intensiven Eselleben.

Danke für alles, was du ge- und manchmal auch ertragen hast mit mir und Figaro, der nicht immer nur lieb zu dir war.

Danke für all die Kinder, die du glücklich gemacht hast.

Danke für die Stunden mit dir am Wagen, für die unvergesslichen Trekkingmomente.

Danke, dass du Teil meines Lebens warst – fast 30 Jahre lang.

Du wurdest und wirst geliebt. Ich vermisse dich unsäglich und werde dich nie vergessen. Aber ich gönne dir deine Ruhe und deinen Frieden. Schick mir ab und zu etwas davon - und auch Aisha, Figaro und Bosco.

Ruhe in Frieden, kleine grosse Néla. Du wirst immer in meinem Herzen blieben.

Sandra

Abschied von Néla

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